Moleküle im Galopp
Ein interdisziplinäres Team untersucht, wie genau sich einzelne Biomoleküle bewegen. Ein Trick dabei: winzige Poren, durch die immer nur ein Molekül schlüpfen kann.
«Proteine sind die Arbeitstiere unseres Körpers», sagt Sonja Schmid. Sie übermitteln Botschaften, bauen Zellen zusammen, transportieren Energie und vieles mehr. Um diese Aufgaben zu erfüllen, müssen sie ständig in Bewegung sein: Sie klappen auf und wieder zu, biegen und verdrehen sich, bilden vorübergehend Partnerschaften, fangen Atome ein und lassen sie wieder los.
Diese unglaublich dynamischen Prozesse spielen sich auf einer Skala von Millionstel Millimetern ab. Forschende können den genauen Ablauf dieser Bewegungen mit gängigen Methoden nicht beobachten. «Bei chemischen Experimenten schaut man gleichzeitig Millionen von Molekülen an und misst davon nur einen Mittelwert. Die Bewegungen bleiben auf der Strecke», sagt Schmid.
Auch ein einzelnes hochaufgelöstes Bild, etwa erstellt mit einem Elektronenmikroskop, liefert nur eine Momentaufnahme. Schmid, die seit Anfang 2024 als Assistenzprofessorin am Departement Chemie der Universität Basel eine Forschungsgruppe leitet, will das ändern und einzelnen Molekülen direkt bei der Arbeit zuschauen.
Film statt Standbild.
Schmid vergleicht dies mit dem Ablauf des Galopps, der erst nach der Entwicklung des Filmens entschlüsselt werden konnte: nur durch kurz aufeinanderfolgende Aufnahmen eines einzelnen Pferdes wurden die genauen Bewegungen deutlich.
Weiterführende Informationen
Webseite Forschungsgruppe Schmid
Sonja Schmid im Videoportrait
«Wenn wir auf ähnliche Weise die Dynamik von einzelnen Molekülen anschauen, lassen sich viele biologische Prozesse überhaupt erst verstehen.» Zum Beispiel, was bei Krebserkrankungen in den Zellen falsch läuft.
Leider sind die technischen Möglichkeiten, solche Protein-Galopps live mitzuverfolgen, noch immer sehr begrenzt. Schmids Team entwickelt daher verschiedene Methoden, um hier mit Einzelmolekül-Präzision Licht ins Dunkel zu bringen, zum Beispiel mit einer speziellen Fluoreszenz-Methode (FRET), die Bewegungen von wenigen Nanometern auflösen kann.
Ebenfalls aufschlussreich sind Experimente mit sogenannten Nanoporen. Das Herzstück dieses Messaufbaus sind zwei kleine mit einer speziellen Flüssigkeit gefüllte Kammern, die durch eine dünne Membran voneinander getrennt sind. In der Membran befindet sich eine Nanopore, ein winziges Löchlein von wenigen Nanometern Durchmesser – genau passend für die untersuchten Moleküle. Die Forschenden geben die zu untersuchende Substanz in eine der Kammern und legen eine elektrische Spannung an. Dies treibt die Moleküle durch die Nanopore in die benachbarte Kammer – eines nach dem anderen.
Dabei ergeht es den Molekülen wohl ähnlich wie Personen, die sich durch eine enge Luke quetschen müssen: Einer kleinen Frau fällt dies leichter als einem breitschultrigen Mann. Weitere Faktoren wie ein grosser Rucksack beeinflussen ebenfalls, wie schnell die Aufgabe bewältigt wird.
Genauso ist es bei den Molekülen – je nachdem, wie sie gerade gefaltet sind oder welche zusätzlichen Modifikationen sie besitzen, gelingt die Passage durch die Nanopore mehr oder weniger gut. «Immer wenn ein Molekül kurzzeitig in der Pore steckt, wird der Stromfluss auf charakteristische Weise reduziert», erklärt Schmid. Mithilfe maschinellen Lernens können die Forschenden in kleinsten Abweichungen des Stromflusses signifikante Muster erkennen und Rückschlüsse auf Grösse, Form und Ladung jedes einzelnen Moleküls ziehen.
Massgeschneidertes Design im Nanobereich.
«Die spannende Herausforderung liegt darin, für jedes Molekül und jede Fragestellung das passende Experiment und die geeignete Pore zu finden», sagt Schmid. «Hierfür braucht es viel Kreativität.» Oft greift ihr Team auf natürlich vorkommende Porenproteine zurück, beispielsweise ein bakterielles Toxin, das Zellmembranen durchlöchert. Mit dieser Methode gelang es vor Kurzem, das «Immunsystem» von Bakterien besser zu verstehen. Bakterien müssen sich nämlich gegen spezielle Viren schützen, die Phagen genannt werden. Bei einem Phagenbefall schlägt das bakterielle Abwehrsystem Alarm und produziert bestimmte Signalstoffe.
Die Forschenden um Schmid konnten erstmals nachweisen, dass diese Botenmoleküle meist in Dreier- oder Vierergruppen unterwegs sind. Die Erkenntnisse könnten laut der Nanowissenschaftlerin in Zukunft auch in der Humanmedizin bei der Diagnose von Infektionen helfen. Dafür kann die Maschinerie des Bakterien-Immunsystems so umprogrammiert werden, dass es statt bei Kontakt mit Phagen bei Kontakt mit Krankheitserregern in menschlichem Blut oder Speichel einen Alarm auslöst. Mithilfe eines auf Nanoporen beruhenden Messsystems könnten die daraufhin gebildeten Botenmoleküle dann nachgewiesen werden.
Der Clou dabei: Das Messgerät wäre tragbar und günstig herzustellen. Daher könnte es auch in abgelegenen oder medizinisch unterversorgten Regionen zum Einsatz kommen. Für andere Experimente setzt Schmid auch synthetische Materialien ein, zum Beispiel Chips mit einer hauchdünnen Membran aus Siliziumnitrid.
Damit baut sie einzigartige Proteinfallen, um einzelne Moleküle längerfristig und präziser beobachten zu können. Schmid fabriziert diese Chips in Zusammenarbeit mit dem Swiss Nanoscience Institut: «Wir wollen bei unseren Messungen bis an die Grenzen des Möglichen gehen. Dafür brauchen wir Material höchster Qualität und haben die Expertise dafür glücklicherweise direkt in Basel.»
AUS: UNI NOVA - Das Wissenschaftsmagazin der Universität Basel (Text: Yvonne Vahlensieck)
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