Struktur und Funktion von Proteinen: Pseudokontakt-Shifts als wertvolles Werkzeug in der NMR-Spektroskopie
Forschende des Biozentrums und des Departements Chemie haben eine neue NMR-Methode entwickelt, mit der sie nun erstmals die Dynamik der Aktivierung eines G-Protein-gekoppelten Rezeptors auf molekularer Ebene verfolgen konnten. Diese physiologisch bedeutsamen Membranproteine sind wichtige molekulare Schalter, die bei der Vermittlung der Signalkaskade von aussen nach innen in die Zelle eine zentrale Rolle spielen und daher Wirkort zahlreicher Medikamente sind. Die in «Science» veröffentlichte Arbeit liefert wertvolle Hinweise für das Design neuer Medikamente und ist ein beeindruckendes Beispiel für die Anwendungsmöglichkeiten der neuen NMR-Methode.
Hinweis: Zur erwähnten Science-Publikation ist ein eigener News-Beitrag veröffentlicht worden. Dieser Beitrag fokussiert mehr auf die zugrunde liegende NMR-Methode.
NMR-Spektroskopie ist die Methode der Wahl, um die Struktur, Dynamik und Interaktion von Biomakromolekülen wie Proteinen in Lösung zu bestimmen. Aus der Änderung der sogenannten chemischen Verschiebungen (der Lage der Signale im NMR-Spektrum) kann man wertvolle Informationen über die verschiedenen Konformationen von Biomakromolekülen ableiten. Darüberhinaus lassen sich auch die Population der einzelnen Konformationen in den gekoppelten Gleichgewichten zwischen inaktiven, präaktiven und aktiven Zuständen genau bestimmen und so die Funktion der GPCRs verstehen. Statische Strukturen, wie man sie z.B. durch kristallographische Untersuchungen bestimmt, liefern dagegen keine vergleichbaren Informationen zur Funktion.
Die Änderung der chemischen Verschiebung kann durch Pseudokontakt-Shifts hervorgerufen werden, die durch Einbau von «paramagnetischen Tags» in das Protein induziert werden. Die Tags sind Moleküle, die ein Metallion mit ungepaarten Elektronen (aus der Reihe der Lanthanoide, z.B. Dysprosium, Terbium oder Thulium) enthalten, welches durch Wechselwirkung mit den NMR-aktiven Atomkernen (z.B. 1H, 13C, 15N) des Proteins die Signalverschiebungen hervorruft. Der Einbau des Tags erfolgt durch chemische Reaktion mit bestimmten Aminosäureresten des Proteins.
Bei grösseren Proteinen (>100 kDa) kommen die klassischen Methoden der Protein-NMR-Spektroskopie an ihre Grenzen. Zusätzlich kann auch die Methode über Pseudokontakt-Shifts nicht bei allen Proteinen problemlos angewendet werden, weil z.B. geeignete Reaktionsstellen für den Einbau des Tags im Protein fehlen und erst aufwändig über genetische Methoden eingeführt werden müssten oder das Protein durch die Einführung des Tags oder der Reaktionsstelle inaktiv oder zu stark in seiner Struktur gestört wird.
Neue NMR-Methode vermisst Proteine indirekt über Bindungspartner
Die Forschungsgruppe um Prof. Daniel Häussinger am Departement Chemie forscht u.a. an der Synthese und Anwendung der neuesten Generation von Lanthanoid-Tags. Pascal Rieder aus der FG Häussinger gelang es in Kooperation mit der Forschungsgruppe um Prof. Stephan Grzesiek und Dr. Feng-Jie Wu, die neue NMR-Methode, die auf Pseudokontakt-Shifts beruht, für GPCRs nutzbar zu machen. Hierbei wird nicht das Protein, sondern ein an das Protein bindender, sogenannter Nanobody (Nanokörperchen, kleinstes funktionelles Fragment eines Antikörpers) mit dem Tag versehen. Wenn der getaggte Nanobody an das Protein bindet, werden Pseudokontakt-Shifts induziert und das Protein kann quasi indirekt vermessen werden. Für viele Proteine sind Nanobodies bekannt, sodass diese Methode eine breite Anwendung finden könnte. Im «Journal of the American Chemical Society» stellten die Forscher die Methode vor und berichteten über die Strukturanalyse eines G-Protein-gekoppelten Rezeptors (GPRCs), bei der sie NMR-Daten mit einer deutlich höheren Informationsdichte als aus bisherigen NMR-Messungen erzielten. In einer zweiten, vor kurzem in «Science» erschienenen Publikation konnten sie mit der Methode erstmals auch die Funktionsweise eines GPCR dynamisch abbilden und so verschiedene Aktivitätszustände des Proteins bestimmen und verstehen.
GPCRs wirken als molekulare Schalter, die über die Weiterleitung einer Signalkaskade ins Innere der Zellen wichtige physiologische Prozesse steuern und daher Wirkort zahlreicher Medikamente sind. GPCRs waren aufgrund ihrer Grösse und des dynamischen Gleichgewichts zwischen verschiedenen Zuständen bislang NMR-spektroskopisch nur schwer zugänglich. Die vorgestellten Arbeiten schliessen damit die Lücke zwischen den bekannten statischen Strukturen dieser Proteine und ihrer Funktion.
Originalpublikationen
Feng-Jie Wu, Pascal S. Rieder, Layara Akemi Abiko, Philip Rößler, Alvar D. Gossert, Daniel Häussinger, Stephan Grzesiek
Nanobody GPS by PCS: An Efficient New NMR Analysis Method for G Protein Coupled Receptors and Other Large Proteins
Journal of the American Chemical Society 2022, 144 (47), 21728-21740; doi: 10.1021/jacs.2c09692
Feng-Jie Wu, Pascal S. Rieder, Layara Akemi Abiko, Anne Grahl, Daniel Häussinger, Stephan Grzesiek.
Activation dynamics traced through a G protein coupled receptor by 81 1H-15N NMR probes
Science (2025), doi: 10.1126/science.adq9106
Weiterführende Informationen
Webseite Forschungsgruppe Prof. Daniel Häussinger
Webseite Prof. Stephan Grzesiek
Webseite Dr. Feng-Jie Wu